Der deutsche Kleingärtner. Gerne verbindet man ihn mit kitschigen Gartenzwergen, Bierbäuchen oder Socken in den Sandalen, exakten Vorschriften, der Höhe der Hecke zum Beispiel. Doch die vermeintlich spießigen Hobbygärtner haben ihre Parzellen längst geöffnet. Jeder Dritte dort ist mittlerweile Ausländer. Blick in die Schrebergärten…
Ein warmer Tag im Mai in den Kirchheimer Kleingärten. Behutsam schiebt Max Damaschke, 81 Jahre alt, seine Schubkarre, geschützt durch den Schatten eines Kastanienbaums. Ein paar verfaulte Kartoffeln müssen auf den Komposthaufen.
Zwischen Tomaten-Stauden, Kartoffel-Beeten und Gänseblümchen geht einer der ältesten Kleingärtner Heidelbergs seinem liebsten Hobby nach: „Ich leb ja von meinem Garten, ich atme hier im Garten. Und der Umgang mit Leuten ist mir sehr wichtig“, sagt er. Man werde nicht einsam, habe immer jemand um sich rum, sagt der ehemalige Schwimmlehrer. Er zeigt dabei auf die Gesellschaft zwischen Zaun und Zapfhahn in der Gastwirtschaft schräg gegenüber.
300 Quadratmeter großen Parzellen
Rund 2.300 Kleingärtner besitzen im Einzugsgebiet Heidelberg eine der jeweils rund 300 Quadratmeter großen Parzellen, denn „Schrebergärtnern ist viel mehr als nur das Herstellen von Nahrungsmitteln und Steckenbleiben im eigenen Qudrat“, sagt Dammaschke. Bundesweit sind es nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde 15.200 Parzellen, die in letzter Zeit vor allem an jüngere Familien verpachtet werden. Im Freizeitbereich sei man weltoffen, unabhängig und großzügig, was die Nationalitäten, Sprachen und Religion der jeweiligen Bewohner angeht. „Für uns ist jeder Mensch wertvoll – vom Arbeitslosem bis zum Akademiker“, sagt der Vorsitzende der Kleingartenkolonie, Eugen Dammert über die Integration im Kleingarten.
Wohin man auch schaut, wehen Flaggen der unterschiedlichsten Nationalitäten in den Vorgärten. Darunter viele deutsche Fahnen, aber auch bayrisches Weiß-Blau und kräftige Rottöne aus Österreich, Russland oder der Türkei.
„Das Image eines Laubenpiepers oder Eigenbrödlers ist schon lange überholt“
Eugen Dammert
„Das Image eines Laubenpiepers oder Eigenbrödlers ist schon lange überholt“, sagt Dammert vor dem Hintergrund, dass die meisten aktiven Vereinsmitglieder bereits im Rentenalter sind. Manche junge Leute würden über das vermeintlich spießige Hobby des Kleingärtners noch lächeln. Diese Klischees seien von gestern: „Wir sind nicht super-konservativ, grantig oder knorrig – und wollen das gar nicht sein“, wehrt sich der Vereinsvorsitzende. Das Durchschnittsalter der Hobbygärtner sei vor 10 Jahren noch über 60 gewesen, heute sei das bundesweit zwischen 40 und 50 Jahre. „Unsere Grün-Anlagen haben eine Verjüngungskür hinter sich, das Zugehörigkeitsgefühl hat sich ebenfalls verändert“, sagt Dammert. Man sitze mehr zusammen, trinke Bier, esse Salat.
Klischee des Schrebergärtners
„Wir widersprechen energisch dem Klischee des Schrebergärtners, der kleinkariert mit Pinzette und Nagelschere seinen Rasen pflegt“, sagt Dammert. Er hat keinen klassischen, für manche kitschigen Gartenzwerg auf seiner Parzelle stehen. Ein Nachbar von ihm bevorzugt Esel aus Ton, Stadler hat sich alternativ ein pinkes Schweinchen aus Plastik reingestellt. „Der alte Zopf muss erneuert werden“, meint Dammert.
Kollege Rudolph pflichtet ihm bei und „kann sich verknallen, in seine Idee“. Früher habe der ehemalige Bundeswehr-Angestellte seine Stangenbohnen noch mit dem Luftgewehr abgeschossen, aber Rücksicht auf den Nachbarn gehöre dazu und deswegen mache er das heute nicht mehr. „Ebenso gehört die Wahl eines geräuscharmen Rasenmähers dazu“, sagt Rudolph über die pedantische Technik eines perfekten Schnitts.
Ob nun ein benzingetriebener Mäher mit Lenkrad oder der klassische Handrasenmäher: Gemeinsam mit seinen Gartenfreunden habe er schon so manche logistische Herausforderung gestemmt. Letztes Jahr hat Rudolph mit 2 Kollegen 400 Wasseruhren in den Gartenlauben ausgewechselt. „Da steckt man pro Jahr locker schon mal 1200 ehrenamtliche Helferstunden in die Anlage, das ist etwas für Idealisten“, sagt Rudolph, der für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen hat. Das Hobby des Kleingärtners sei eben kein Klischee mit dem Gartenzwerg, sondern „entspricht der gesellschaftlichen Verantwortung, sagt der Schrebergärtner. Die vier alten Herren sind da einer Meinung und hoffen auf weiteren, jungen Nachwuchs in den Parzellen.
Die vorsitzenden Herren des Gartenfreunde-Vereins, die sich ehrenamtlich engagieren, sind im Schnitt trotzdem noch 70 Jahre alt. Sie tragen Socken in den Latschen, einige haben einen Bierbauch unter dem Holzfäller-Hemd. Doch nicht nur für sie, auch für diejenigen, die nach der Generation Golf der 70er Jahre geboren wurden, erscheint der Kleingarten als schönster Freizeitort. Natur eben.
Kein Risiko vom Umzug ins Grüne
Trotz der Altherrenriege am Tisch: Zunehmend schätzen auch junge Akademikerfamilien die Freuden des frischen Vorstadtgrüns, raus aus der hektischen Stadt ins Landleben, ohne einen Umzug ins Grüne riskieren zu müssen. Auch die Ausländer wissen das zu schätzen. „Doch die bringen sich nicht so sehr im Ehrenamt ein, sondern wollen ihre Ruhe haben“, erklärt der pensionierte Frauenarzt.
Und manche würden hier auch wegen der jüngst gestiegenen Preise für Lebensmittel herkommen, sagt Dammert, um gegenüber manchen Nahrungskrisen auf dem Weltmarkt im Kleinengarten gewappnet zu sein. Man baue wieder mehr Obst und Gemüse an, fast so wie nach dem Krieg und es erhöhe auch die Nutzpflanzenquote, meint Dammaschke.
Er kippt die verfaulten Kartoffeln in den Kompost, schaut über seine kleine Holunder-Hecke nach nebenan. Dort riecht es nach gegrillten Würstchen. Eine ausländische Familie feiert gerade Geburtstag unter ihrer Laube, zwischen Heckenrosen und Lauch, es gibt auch Kuchen. Nachbar Walerie kommt aus Kasachstan, unschwer an der gehissten Flagge zu erkennen, und pflückt etwas Kräuter. Seine Beete sind nicht so ganz akkurat gepflegt und abgezirkelt – wie bei Gartenfreund Damaschke. Trotzdem: Das gemeinsame Hobby verbindet beide.
Sie fachsimpeln über das Obstbaumschneiden, das schöne Maiwetter – über die Vorschriften, die auch das gesellige Beisammensein reglementieren. Nachbar Walerie findet das typisch deutsch – aber irgendwie auch in Ordnung: „Es ist nicht so einfach wie man denkt: Heute habe ich sogar erfahren, dass diese Zierpflanzen 50 Zentimeter vom Zaun weg sein müssen“, sagt Valerie. Vorschriften seien halt Vorschriften, aber „die sind korrekt, denn wenn jeder macht, was er will, sieht unser Garten vielleicht wie eine schlechte Wiese aus“, meint der kasachische Gartenfreund. Die dauernde Kontrolle über Nachbars Garten gehöre eben dazu.
„Schlechte Wiesen“, das darf nicht sein, findet auch Peter Stadler. Er sitzt einige Parzellen weiter im Vereinshaus mit Kneipe nebenan. Der 65jährige ist der Vorsitzende des Heidelberger Bezirksverbandes der Gartenfreunde. Er trägt eine Mecki-Frisur mit Vollbart, sein Hemd sitzt perfekt in der Jeans. Unter der Woche arbeitet der gelernte Maschinenbau-Ingenieur als Hochschullehrer, ist viel unterwegs und sitzt lange Zeit im Auto. Besonders jetzt im Sommer nerve ihn das manchmal.
Kleingartenglück
In seiner Freizeit buddelt er im Garten. Stolz präsentiert er Freunden seine neue Teichanlage im Garten – mit japanischem Ambiente: „Damit nicht nur der Erfrischungsfaktor bei schwülen Temperaturen gewährleistet ist“, sagt Stadler über seine Wellness-Tümpel. Er erklärt, wie die Ablaufpumpe funktioniert, wie er das Wasser reinigt und warum Goldfische gefräßige Mäuler haben. Und dann ist da noch die Sache mit dem Unkraut in Nachbars Garten, schon wieder die Vorschriften: die „Spontanvegetation“, wie er es nennt, die das Kleingartenglück mindere. „Manche greifen da viel zu schnell zum Gifteimer“, sagt der Bezirkschef der Gartenfreunde.
Immerhin liegen 80 Prozent der Heidelberger Gärten auf Wasserschutzgebiet – und Komfortmittel für die Unkrautvernichtung gäbe es billig im Baumarkt zu kaufen. Nicht jeder scheinbare Öko-Gärtner halte sich ans Bundeskleingartnergesetz, das Kreislaufwirtschaftsgesetz oder kaufe regelmäßig im Bioladen ein. Umweltschutz werde noch vor der Integration in Deutschlands Schrebergärten großgeschrieben.
Beim kühlen Bier im Vereinshaus sichtet Stadler mit Gartenfreund Helmut Rudolph Papiere von Erdproben, die ans Umweltamt müssen. Eine Düngetabelle mit Nitratangaben liegt auf dem Tisch. Rudolph hat dafür extra eine Ausbildung gemacht. Nun berät er neben der Arbeit im Labor für Bodenschutz die Kleingärtner beim Düngen ihres Rasens und der Frage, „wie viel Schubkarren Mist muss ich auf meine Tomaten kippen“, sagt der ehemalige Sachbearbeiter bei der Bundeswehr. Zwischen Rumänien oder Deutschland gebe es gravierende Unterschiede in den Vorschriften, wie viel Dünger pro Gemüsekultur in Ordnung ist. „Uns ist die Umwelt nicht egal“, sagt Rudolph, der in Kursen Hobbygärtner darüber aufgeklärt, dass ihre Böden zu 70 Prozent mit Stickstoff verseucht sind.
Umwelt-Vorschriften
Diese und andere Umwelt-Vorschriften würden helfen, dass das Miteinander zwischen Deutschen und Ausländern besser klappt. Jeder Dritte in der Anlage komme aus der Türkei, Russland oder Rumänien. Auch Iraker haben sich hier einen grünen Fleck in der Stadt gesichert und bauen Salate, Bohnen und Kartoffeln an. Damaschke fügt hinzu, dass die Deutschen lieber Zierpflanzen sähen, Rosen, Sommerblumen und Weinreben – während „die Menschen mit Migrationshintergrund Nutzgemüse bevorzugen du mehr Erde unterm Spaten haben“, sagt der aufgeschlossene Gartenälteste.
Die Kleingärtner Stadler, Rudolph und Damaschke sind sich einig, was die Integration zwischen Rotkohl und Rosenstauden angeht: „Wir schreiben eine gewisse Höhe der Hecke des Gartens vor, damit die Leute rein schauen können, weil wir ja offene Anlagen wollen“ sagt Stadler. Nur so könne Solidarität entstehen, wenn man ohne Zaun in den Kleingärten seine Grenzen toleriere. Stadler hat deswegen den Maschendraht mit seinem Nachbarn einvernehmlich abgerissen.
Integration zwischen Rotkohl und Rosenstauden
Abgrenzen hinter hohen Hecken oder Maschendrahtzäunen ist hier nicht gewünscht. Zusätzlich wolle er in der Vereinspolitik jeden Monat Kurse zu den Themen Umwelt, Bodenpflege und Obstbaumschnitt anbieten. „Aber auch soziale Themen wie Familie, Ausländer und Senioren sind wichtig, drüber zu sprechen“, sagt Stadler.
Singende Vögel, duftende Blumen und sattes Grün können nicht darüber hinwegtäuschen: Die Idylle wird manchmal getrübt durch die „Kleingartenkriege“, wie Damaschke es nennt. Mit Anklängen an die Fernsehserie „Maschendrahtzaun“ beschwert sich ein Kleingärtner ein paar Zellen weiter immer noch. Der Grund: sein Nachbar habe vor 20 Jahren illegal, ohne zu fragen, Bambus auf seiner Wiese angepflanzt – entgegen den Vorschriften.
Ohne Gesetzte funktioniere die beste Gartenfreundschaft nicht, meint Damaschke. Vor einem Jahr habe ein Kleingärtner sogar versucht, seinen gepachteten Garten im Internet beim Auktionsanbieter Ebay für einen Schleuderpreis zu verkaufen. „Ein anderes Mal stand bei mir der Anwalt eines Erbens im Garten. Der wollte wissen, wie viel Euro das Stück Land wert sei“, sagt Damaschke.
Wie aber Zierpflanzen und Gemüsebeete ganz genau angeordnet sind, bleibe jedem Kleingärtner selbst überlassen. Ob nun deutscher oder russischer Kleingärtner-Stil, findet Peter Stadler: „Man kann und man wird von diesen Menschen lernen. Und im Gleichzug lernen die von uns. Die bauen ihre Kartoffeln selber an, ihren Sellerie selber an, Ihren Lauch“. Sie könnten von ausländischen Gartenfreunden lernen. Nicht nur über das Düngen, Schneiden und Pflücken von frischen Obst. Die Gastfreundschaft von Dammaschkes kasachischen Nachbarns zeige ja auch, das „man zusammen Würstchen essen kann“, sagt Stadler.
Der deutsche Schrebergarten ist längst ein Ort internationaler Gemeinschaft geworden. Gartenfreunde aus mehr als 80 Nationen verbringen nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde einen Großteil ihrer Freizeit im Grünen. Missverständnisse und Vorurteile können durch das gemeinsame Hobby überwunden werden. Denn Menschen mit Migrationshintergrund sind meist mit Scholle und Garten bereits bau vertraut. Die meisten von ihnen sind Aussiedler aus Polen und Russland sowie ehemalige türkische Gastarbeiter.
Als umweltbewusster Ökomanager auf eigener Scholle. Das klingt verlockend und soll trotz der damit verbundenen Arbeit Spaß machen und den Freizeitwert erhöhen. Ein Kleingarten ist zwischen 250 bis 300 Quadratmeter groß, wovon ein Drittel kleingärtnerisch zu nutzen ist. Die Spielregeln sind im Bundeskleingartengesetz und den Gartenordnungen der einzelnen Vereine festgelegt.
Einen Kleingarten bekommt man durch einen Anruf beim lokalen Gartenverein. Teilweise ist der Wunsch nach einer eigenen Parzelle mit Wartezeiten verbunden. Wenn etwas frei ist, wird ein Besichtigungstermin vereinbart – wie bei einer Wohnung. Im Falle einer Zusage kostet ein eigener Garten eine einmalige Aufnahmegebühr, Verbandsbeiträge und eine einmalige Abschlagszahlung für Garten und Laube vom Vorpächter.
Was kostet das? Die jährlichen Kosten für Beitrag, Umlage, Pacht, Wasser, Gemeinschaftsarbeit, Versicherung und Gartenzeitschrift liegen bei durchschnittlich 150 € . Die Ablösesumme für einen Kleingarten ist abhängig vom jeweiligen Zustand. Wertermittlungen erfolgen durch eine Kommission des Gartenverbandes. Die Spannbreite liegt zwischen 100 € und 5.000 €. Kann aber auch mal bis zu 20.000€ kosten, je nach Bundesland, Lage und Zustand.
Die deutsche Kleingärtnerbewegung ist rund 200 Jahre alt. Die Dauerausstellung „Deutschlands Kleingärtner vom 19. zum 21. Jahrhundert“ im Deutschen Kleingärtnermuseum in Leipzig bietet einen anschaulichen Überblick über diese spannungsreiche Entwicklung. Das Museum befindet sich an historischer Stätte – im Vereinshaus des weltweit ersten Schrebervereins (gegründet 1864), des heutigen Kleingärtnervereins „Dr. Schreber“. – http://www.kleingarten-museum.de