Gartenzwerge - zumindest als Klischee sind sie nicht aus Kleingärten wegzudenken (Foto: Jan Otte)

Schrebergarten: Grün, grün, grün ist alles was ich hab‘

Der deutsche Kleingärtner. Gerne verbindet man ihn mit kitschigen Gartenzwergen, Bierbäuchen oder Socken in den Sandalen, exakten Vorschriften, der Höhe der Hecke zum Beispiel. Doch die vermeintlich spießigen Hobbygärtner haben ihre Parzellen längst geöffnet. Jeder Dritte dort ist mittlerweile Ausländer. Blick in die Schrebergärten…

Ein warmer Tag im Mai in den Kirchheimer Kleingärten. Behutsam schiebt Max Damaschke, 81 Jahre alt, seine Schubkarre, geschützt durch den Schatten eines Kastanienbaums. Ein paar verfaulte Kartoffeln müssen auf den Komposthaufen.

Zwischen Tomaten-Stauden, Kartoffel-Beeten und Gänseblümchen geht einer der ältesten Kleingärtner Heidelbergs seinem liebsten Hobby nach: „Ich leb ja von meinem Garten, ich atme hier im Garten. Und der Umgang mit Leuten ist mir sehr wichtig“, sagt er. Man werde nicht einsam, habe immer jemand um sich rum, sagt der ehemalige Schwimmlehrer. Er zeigt dabei auf die Gesellschaft zwischen Zaun und Zapfhahn in der Gastwirtschaft schräg gegenüber. 

300 Quadratmeter großen Parzellen

Rund 2.300 Kleingärtner besitzen im Einzugsgebiet Heidelberg eine der jeweils rund 300 Quadratmeter großen Parzellen, denn „Schrebergärtnern ist viel mehr als nur das Herstellen von Nahrungsmitteln und Steckenbleiben im eigenen Qudrat“, sagt Dammaschke. Bundesweit sind es nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde 15.200 Parzellen, die in letzter Zeit vor allem an jüngere Familien verpachtet werden. Im Freizeitbereich sei man weltoffen, unabhängig und großzügig, was die Nationalitäten, Sprachen und Religion der jeweiligen Bewohner angeht. „Für uns ist jeder Mensch wertvoll – vom Arbeitslosem bis zum Akademiker“, sagt der Vorsitzende der Kleingartenkolonie, Eugen Dammert über die Integration im Kleingarten.

Wohin man auch schaut, wehen Flaggen der unterschiedlichsten Nationalitäten in den Vorgärten. Darunter viele deutsche Fahnen, aber auch bayrisches Weiß-Blau und kräftige Rottöne aus Österreich, Russland oder der Türkei. 

„Das Image eines Laubenpiepers oder Eigenbrödlers ist schon lange überholt“

Eugen Dammert

„Das Image eines Laubenpiepers oder Eigenbrödlers ist schon lange überholt“, sagt Dammert vor dem Hintergrund, dass die meisten aktiven Vereinsmitglieder bereits im Rentenalter sind. Manche junge Leute würden über das vermeintlich spießige Hobby des Kleingärtners noch lächeln. Diese Klischees seien von gestern: „Wir sind nicht super-konservativ, grantig oder knorrig – und wollen das gar nicht sein“, wehrt sich der Vereinsvorsitzende. Das Durchschnittsalter der Hobbygärtner sei vor 10 Jahren noch über 60 gewesen, heute sei das bundesweit zwischen 40 und 50 Jahre. „Unsere Grün-Anlagen haben eine Verjüngungskür hinter sich, das Zugehörigkeitsgefühl hat sich ebenfalls verändert“, sagt Dammert. Man sitze mehr zusammen, trinke Bier, esse Salat. 

Klischee des Schrebergärtners

„Wir widersprechen energisch dem Klischee des Schrebergärtners, der kleinkariert mit Pinzette und Nagelschere seinen Rasen pflegt“, sagt Dammert. Er hat keinen klassischen, für manche kitschigen Gartenzwerg auf seiner Parzelle stehen. Ein Nachbar von ihm bevorzugt Esel aus Ton, Stadler hat sich alternativ ein pinkes Schweinchen aus Plastik reingestellt. „Der alte Zopf muss erneuert werden“, meint Dammert. 

Kollege Rudolph pflichtet ihm bei und „kann sich verknallen, in seine Idee“. Früher habe der ehemalige Bundeswehr-Angestellte seine Stangenbohnen noch mit dem Luftgewehr abgeschossen, aber Rücksicht auf den Nachbarn gehöre dazu und deswegen mache er das heute nicht mehr. „Ebenso gehört die Wahl eines geräuscharmen Rasenmähers dazu“, sagt Rudolph über die pedantische Technik eines perfekten Schnitts. 

Ob nun ein benzingetriebener Mäher mit Lenkrad oder der klassische Handrasenmäher: Gemeinsam mit seinen Gartenfreunden habe er schon so manche logistische Herausforderung gestemmt. Letztes Jahr hat Rudolph mit 2 Kollegen 400 Wasseruhren in den Gartenlauben ausgewechselt. „Da steckt man pro Jahr locker schon mal 1200 ehrenamtliche Helferstunden in die Anlage, das ist etwas für Idealisten“, sagt Rudolph, der für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen hat. Das Hobby des Kleingärtners sei eben kein Klischee mit dem Gartenzwerg, sondern „entspricht der gesellschaftlichen Verantwortung, sagt der Schrebergärtner. Die vier alten Herren sind da einer Meinung und hoffen auf weiteren, jungen Nachwuchs in den Parzellen. 

Die vorsitzenden Herren des Gartenfreunde-Vereins, die sich ehrenamtlich engagieren, sind im Schnitt trotzdem noch 70 Jahre alt. Sie tragen Socken in den Latschen, einige haben einen Bierbauch unter dem Holzfäller-Hemd. Doch nicht nur für sie, auch für diejenigen, die nach der Generation Golf der 70er Jahre geboren wurden, erscheint der Kleingarten als schönster Freizeitort. Natur eben.  

Kein Risiko vom Umzug ins Grüne

Trotz der Altherrenriege am Tisch: Zunehmend schätzen auch junge Akademikerfamilien die Freuden des frischen Vorstadtgrüns, raus aus der hektischen Stadt ins Landleben, ohne einen Umzug ins Grüne riskieren zu müssen. Auch die Ausländer wissen das zu schätzen. „Doch die bringen sich nicht so sehr im Ehrenamt ein, sondern wollen ihre Ruhe haben“, erklärt der pensionierte Frauenarzt.

Und manche würden hier auch wegen der jüngst gestiegenen Preise für Lebensmittel herkommen, sagt Dammert, um gegenüber manchen Nahrungskrisen auf dem Weltmarkt im Kleinengarten gewappnet zu sein. Man baue wieder mehr Obst und Gemüse an, fast so wie nach dem Krieg und es erhöhe auch die Nutzpflanzenquote, meint Dammaschke. 

Er kippt die verfaulten Kartoffeln in den Kompost, schaut über seine kleine Holunder-Hecke nach nebenan. Dort riecht es nach gegrillten Würstchen. Eine ausländische Familie feiert gerade Geburtstag unter ihrer Laube, zwischen Heckenrosen und Lauch, es gibt auch Kuchen. Nachbar Walerie kommt aus Kasachstan, unschwer an der gehissten Flagge zu erkennen, und pflückt etwas Kräuter. Seine Beete sind nicht so ganz akkurat gepflegt und abgezirkelt – wie bei Gartenfreund Damaschke. Trotzdem: Das gemeinsame Hobby verbindet beide.

Sie fachsimpeln über das Obstbaumschneiden, das schöne Maiwetter – über die Vorschriften, die auch das gesellige Beisammensein reglementieren. Nachbar Walerie findet das typisch deutsch – aber irgendwie auch in Ordnung: „Es ist nicht so einfach wie man denkt: Heute habe ich sogar erfahren, dass diese Zierpflanzen 50 Zentimeter vom Zaun weg sein müssen“, sagt Valerie. Vorschriften seien halt Vorschriften, aber „die sind korrekt, denn wenn jeder macht, was er will, sieht unser Garten vielleicht wie eine schlechte Wiese aus“, meint der kasachische Gartenfreund. Die dauernde Kontrolle über Nachbars Garten gehöre eben dazu. 

„Schlechte Wiesen“, das darf nicht sein, findet auch Peter Stadler. Er sitzt einige Parzellen weiter im Vereinshaus mit Kneipe nebenan. Der 65jährige ist der Vorsitzende des Heidelberger Bezirksverbandes der Gartenfreunde. Er trägt eine Mecki-Frisur mit Vollbart, sein Hemd sitzt perfekt in der Jeans. Unter der Woche arbeitet der gelernte Maschinenbau-Ingenieur als Hochschullehrer, ist viel unterwegs und sitzt lange Zeit im Auto. Besonders jetzt im Sommer nerve ihn das manchmal. 

Kleingartenglück

In seiner Freizeit buddelt er im Garten. Stolz präsentiert er Freunden seine neue Teichanlage im Garten – mit japanischem Ambiente: „Damit nicht nur der Erfrischungsfaktor bei schwülen Temperaturen gewährleistet ist“, sagt Stadler über seine Wellness-Tümpel. Er erklärt, wie die Ablaufpumpe funktioniert, wie er das Wasser reinigt und warum Goldfische gefräßige Mäuler haben. Und dann ist da noch die Sache mit dem Unkraut in Nachbars Garten, schon wieder die Vorschriften: die „Spontanvegetation“, wie er es nennt, die das Kleingartenglück mindere. „Manche greifen da viel zu schnell zum Gifteimer“, sagt der Bezirkschef der Gartenfreunde.

Immerhin liegen 80 Prozent der Heidelberger Gärten auf Wasserschutzgebiet – und Komfortmittel für die Unkrautvernichtung gäbe es billig im Baumarkt zu kaufen. Nicht jeder scheinbare Öko-Gärtner halte sich ans Bundeskleingartnergesetz, das Kreislaufwirtschaftsgesetz oder kaufe regelmäßig im Bioladen ein. Umweltschutz werde noch vor der Integration in Deutschlands Schrebergärten großgeschrieben. 

Beim kühlen Bier im Vereinshaus sichtet Stadler mit Gartenfreund Helmut Rudolph Papiere von Erdproben, die ans Umweltamt müssen. Eine Düngetabelle mit Nitratangaben liegt auf dem Tisch. Rudolph hat dafür extra eine Ausbildung gemacht. Nun berät er neben der Arbeit im Labor für Bodenschutz die Kleingärtner beim Düngen ihres Rasens und der Frage, „wie viel Schubkarren Mist muss ich auf meine Tomaten kippen“, sagt der ehemalige Sachbearbeiter bei der Bundeswehr. Zwischen Rumänien oder Deutschland gebe es gravierende Unterschiede in den Vorschriften, wie viel Dünger pro Gemüsekultur in Ordnung ist. „Uns ist die Umwelt nicht egal“, sagt Rudolph, der in Kursen Hobbygärtner darüber aufgeklärt, dass ihre Böden zu 70 Prozent mit Stickstoff verseucht sind. 

Umwelt-Vorschriften

Diese und andere Umwelt-Vorschriften würden helfen, dass das Miteinander zwischen Deutschen und Ausländern besser klappt. Jeder Dritte in der Anlage komme aus der Türkei, Russland oder Rumänien. Auch Iraker haben sich hier einen grünen Fleck in der Stadt gesichert und bauen Salate, Bohnen und Kartoffeln an. Damaschke fügt hinzu, dass die Deutschen lieber Zierpflanzen sähen, Rosen, Sommerblumen und Weinreben – während „die Menschen mit Migrationshintergrund Nutzgemüse bevorzugen du mehr Erde unterm Spaten haben“, sagt der aufgeschlossene Gartenälteste.  

Die Kleingärtner Stadler, Rudolph und Damaschke sind sich einig, was die Integration zwischen Rotkohl und Rosenstauden angeht: „Wir schreiben eine gewisse Höhe der Hecke des Gartens vor, damit die Leute rein schauen können, weil wir ja offene Anlagen wollen“ sagt Stadler. Nur so könne Solidarität entstehen, wenn man ohne Zaun in den Kleingärten seine Grenzen toleriere. Stadler hat deswegen den Maschendraht mit seinem Nachbarn einvernehmlich abgerissen.

Integration zwischen Rotkohl und Rosenstauden

Abgrenzen hinter hohen Hecken oder Maschendrahtzäunen ist hier nicht gewünscht. Zusätzlich wolle er in der Vereinspolitik jeden Monat Kurse zu den Themen Umwelt, Bodenpflege und Obstbaumschnitt anbieten. „Aber auch soziale Themen wie Familie, Ausländer und Senioren sind wichtig, drüber zu sprechen“, sagt Stadler.   

Singende Vögel, duftende Blumen und sattes Grün können nicht darüber hinwegtäuschen: Die Idylle wird manchmal getrübt durch die „Kleingartenkriege“, wie Damaschke es nennt. Mit Anklängen an die Fernsehserie „Maschendrahtzaun“ beschwert sich ein Kleingärtner ein paar Zellen weiter immer noch. Der Grund: sein Nachbar habe vor 20 Jahren illegal, ohne zu fragen, Bambus auf seiner Wiese angepflanzt – entgegen den Vorschriften.

Ohne Gesetzte funktioniere die beste Gartenfreundschaft nicht, meint Damaschke. Vor einem Jahr habe ein Kleingärtner sogar versucht, seinen gepachteten Garten im Internet beim Auktionsanbieter Ebay für einen Schleuderpreis  zu verkaufen. „Ein anderes Mal stand bei mir der Anwalt eines Erbens im Garten. Der wollte wissen, wie viel Euro das Stück Land wert sei“, sagt Damaschke. 

Wie aber Zierpflanzen und Gemüsebeete ganz genau angeordnet sind, bleibe jedem Kleingärtner selbst überlassen. Ob nun deutscher oder russischer Kleingärtner-Stil, findet Peter Stadler: „Man kann und man wird von diesen Menschen lernen. Und im Gleichzug lernen die von uns. Die bauen ihre Kartoffeln selber an, ihren Sellerie selber an, Ihren Lauch“. Sie könnten von ausländischen Gartenfreunden lernen. Nicht nur über das Düngen, Schneiden und Pflücken von frischen Obst. Die Gastfreundschaft von Dammaschkes kasachischen Nachbarns zeige ja auch, das „man zusammen Würstchen essen kann“, sagt Stadler.

Der deutsche Schrebergarten ist längst ein Ort internationaler Gemeinschaft geworden. Gartenfreunde aus mehr als 80 Nationen verbringen nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde einen Großteil ihrer Freizeit im Grünen. Missverständnisse und Vorurteile können durch das gemeinsame Hobby überwunden werden. Denn Menschen mit Migrationshintergrund sind meist mit Scholle und Garten bereits bau vertraut. Die meisten von ihnen sind Aussiedler aus Polen und Russland sowie ehemalige türkische Gastarbeiter. 

Als umweltbewusster Ökomanager auf eigener Scholle. Das klingt verlockend und soll trotz der damit verbundenen Arbeit Spaß machen und den Freizeitwert erhöhen. Ein Kleingarten ist zwischen 250 bis 300 Quadratmeter groß, wovon ein Drittel kleingärtnerisch zu nutzen ist. Die Spielregeln sind im Bundeskleingartengesetz und den Gartenordnungen  der einzelnen Vereine festgelegt. 

Einen Kleingarten bekommt man durch einen Anruf beim lokalen Gartenverein. Teilweise ist der Wunsch nach einer eigenen Parzelle mit Wartezeiten verbunden. Wenn etwas frei ist, wird ein Besichtigungstermin vereinbart – wie bei einer Wohnung. Im Falle einer Zusage kostet ein eigener Garten eine einmalige Aufnahmegebühr, Verbandsbeiträge und eine einmalige Abschlagszahlung für Garten und Laube vom Vorpächter.

Was kostet das? Die jährlichen Kosten für Beitrag, Umlage, Pacht,  Wasser, Gemeinschaftsarbeit, Versicherung und Gartenzeitschrift liegen bei durchschnittlich 150 € . Die Ablösesumme für einen Kleingarten ist abhängig vom jeweiligen Zustand. Wertermittlungen erfolgen durch eine Kommission des Gartenverbandes. Die Spannbreite liegt zwischen 100 € und 5.000 €. Kann aber auch mal bis zu 20.000€ kosten, je nach Bundesland, Lage und Zustand.

Die deutsche Kleingärtnerbewegung ist rund 200 Jahre alt. Die Dauerausstellung „Deutschlands Kleingärtner vom 19. zum 21. Jahrhundert“ im Deutschen Kleingärtnermuseum in Leipzig bietet einen anschaulichen Überblick über diese spannungsreiche Entwicklung. Das Museum befindet sich an historischer Stätte – im Vereinshaus des weltweit ersten Schrebervereins (gegründet 1864), des heutigen Kleingärtnervereins „Dr. Schreber“. – http://www.kleingarten-museum.de

Alles neu macht der Mai. Tipi zur Apfelbaumblüte (Foto: Jan Otte)

Bambuszelt: Ein Tipi für den Anfang, mit ganz viel Bohnen und ein paar Gurken…

Es sieht gut aus und liefert im Sommer leckere Bohnen, Gurken und anderes rankendes Gemüse. Wir haben es mal ausprobiert und werden berichten über das Zelt im Jahresverlauf…

Wir berichten jeden Monat über das Projekt mit unseren Kindern. Statt ein Tipi irgendwo in der Bude zog es uns nach draussen. In den Garten. Unser Smaland, das Vorbild: Ein „richtiger“ skandinavischer Bauerngarten. Mit Staketen, Weidenzäunen und dazwischen ein echtes Feld zum (im wahrsten Wortsinne) Beackern.

März: Bambus!

Artikelbilder: Jan Otte

Urbaner Dschungel: Zurück zu den Wurzeln!

Ob im Terrarium gezüchtet, in einer Makramee-Blumenampel aufgehängt oder einen Vintage-Blumentopf gestellt. Zimmerpflanzen liegen voll im Trend. Sie verbessern das Raumklima, fördern den Ausgleich im „Home-Office“ und schaffen querbeet neue Inspirationsquellen, auch für die Industrie. Einblicke einer globalen, grünen Bewegung, wo die Natur das Wohnzimmer (zurück) erobert. In Amsterdam und anderswo …  

In der Bilderdijkstraat, zwischen zwei Grachten gelegen, im Westen Amsterdams, hängen Pflanzen von der Decke. Überall in dieser grünen Oase stehen kleine Kakteen herum in Terracotta-Töpfchen, Terrarien und Vasen, dazu ein paar Blumen und hübsche Gießkannen. Es ist kurz vor elf, der Türknopf dreht sich und Mila van de Wall kommt zur Tür rein. Dunkelblondes Haar, ein grün-weiß kariertes Hemd an, blauer Rock, vierzig Jahre alt. Mila stellt die Tasche ab, mit neuer Ware von der FloraHolland, immerhin der weltgrößten Vermarktungsorganisation für Blumen – und andere Pflanzen.  

Die Holländerin bezieht ihre Waren direkt von hier, eine Stunde entfernt – mit ihrem Lastenfahrrad. Aber jetzt ist sie erstmal hier, in ihrem grünen Reich. »Sobald du reinkommst, lässt du das urbane Chaos hinter dir und du entdeckst diese Neugier in dir, mitten in all dem Grün « So beschreibt Mila hier ihr ganz persönliches Wildnis-Erlebnis. Und fügt gleich hinzu: »Wenn du dann gehst, trittst du voller Inspiration aus der Tür heraus, um deinen Platz in der Stadt ebenfalls grüner zu machen«.  

»Kein klassischer Blumenladen« 

Vor drei Jahren hat Mila zusammen mit Emma Hagedoorn, ihrer Partnerin, diesen kleinen, grünen Laden in der Innenstadt gegründet. »Wir haben uns den Zimmerpflanzen verschrieben, diesem Indoor-Garten – und es gibt guten Kaffee«. »Wilderness« hat die Größe eines Zwei-Zimmer-Appartements, im Westen der niederländischen Metropole, im Stadtteil Oud-West. Die Mieten sind teuer, die Quadratmeter in der Stadt begrenzt – gleichzeitig verbringt Mila viel Zeit zu Hause. »Ich möchte es schön haben, nicht nur im Winter«. 

Amsterdam ist grau und grün zugleich. Das kommt nicht nur vom in rauen Mengen konsumierten Marihuana in den »Coffeeshops« oder dem »Hype« um grüne, Gesundheit versprechende »Smoothies« in den zahlreichen Bars der Innenstadt, einige davon mit veganer Küche . Amsterdam hat auch Läden in denen sich Menschen mit (oder ohne) »Groene Vingers« treffen, um bei einer Tasse Kaffee über Inspirationen für Haus und Garten im urbanen Stil zu sinnieren. Ein »klassischer Blumenladen«, wie Mila es nennt, kam für sie nicht in Frage. Denn anders als im Baumarkt oder »klassischen« Blumenladen gibt’s bei Mila und Emma auch Bio-Kaffee – und zwar besonders guten. 

»Lifestyle« einer globalen Bewegung 

Zimmerpflanzen. In den Achtzigern noch als »Oma-Pflanze« geläufig, gelten sie mittlerweile als besonders stylische Note im eigenen Appartement. Insbesondere unter »Hippstern« beliebt: prächtige Monsterra – Milas Lieblingspflanze, auch wenn ihr das Festlegen schwerfällt. Oder Alokasien ebenso wie kleine Kakteen, ganz einfach: »die Mischung macht’s«. Mila und Emma verstehen das Konzept ihrer Pflanzen-Boutique als »frische Brise in der Welt des Gartenbaus«. Das Klischee von Frauen eines bestimmten Alters bedienen wollen sie hingegen nicht: »Indoor-Gartenarbeit ist cool, kreativ und einfach«. 

Auf die Frage, was sie vom Grün im Baumarkt über den Kaffee hinaus unterscheide antworten die beiden Gründerinnen unisono: »Wenn du in einem Gartencenter bist, willst du einfach so schnell wie möglich rauskommen«. Sie hingegen würden »einzigartige Produkte« anbieten, welche ihre Kunden anderswo so nicht bekommen würden, »nicht in dieser Form«. So bieten sie in ihrem Laden auch Workshops an und Events rundum die kleinen, grünen Wunder. Ein Thema war bereits: »Wie man einen Makramee-Pflanzenaufhänger herstellt«. Es geht also weniger um die Pflanzenkunde an sich – Botaniker sind weder Mila noch Emma. »Es geht um das ganze Drumherum«, das »Lebensgefühl«, den »Lifestyle«. Vieles davon teilen sie und ihre Fans im Netz, machen Fotos von diesem schönen, »dritten Ort« neben Zuhause und Büro.  

Mila und Emma verstehen sich viel mehr als Kuratorinnen, weniger als Verkäuferinnen, vor allem auf Instagram. Hier bekommen Sie nicht nur Inspiration für neue Kreationen sondern haben auch eine große Fan-Gemeinde mit mehr als 60.000 Followern im Netz. Instagram ist für den grünen Start-Up »ein Tool, eine Art virtuelles  Schaufenster«, erklärt Mila. Zuvor hat sie 15 Jahre als freie Journalistin gearbeitet, Emma als Innenarchitektin. Dann kam den beiden die Idee, einen eigenen Laden aufzumachen. Mila dazu: »Wir haben das nie wirklich zu Ende gedacht, das war einfach unser Bauchgefühl und wir hätten niemals gedacht, dass das Ganze so erfolgreich wird, wie es aktuell läuft« 

Kuratorin statt Verkäuferin: »Lieben was wir tun« 

Mit »Social Media« allein verdienen Emma und Mila noch kein Geld. Der Umsatz werde nach wie vor im Laden gemacht. Sie »fahren gerade ihren Web-Shop hoch«, arbeiten mit Hochdruck an der »eigenen Produktlinie«. Alle ihre Lieblingsdinge haben sie bereits ins Regal gepackt, alles ist käuflich – fürs Home-Office, den Balkon oder, natürlich, das Wohnzimmer als »Herzstück des urbanen Dschungels«.  

Nicht nur Mila und Emma sind hin und weg vom Grün, dem »Urban Jungle«. Sie bekommen in ihrem Amsterdamer Laden auch viel Besuch, von Pflanzenliebhabern aus aller Welt, die ebenfalls einen »grünen Daumen oder Finger« haben. Igor Josifovic, ein Star der jungen Szene, war kürzlich zu Besuch bei Mila und Emma. Sein erster Eindruck von dem »Wilderness«-Laden: »Oh mein Gott, das ist wirklich ein Dschungel-Blogger-Paradies«. Es sei ein Ort, um »einzutauchen in einen grünen Lebensstil«, so Igor, »ein echtes Shopping-Erlebnis«. Seine Lieblingspflanze ist die » Philodendron«, eine wilde, besonders robuste Tropenfplanze mit ledrigen, glänzenden Laubblättern.  

Seine Liebe zum »Wohnen mit Pflanzen« teilt Igor mit seinen aktuell 561.000 Followern auf Instagram, bei Pinterest sind es immerhin 70.000, bei Facebook rund 25.000 Abonnenten und bei Twitter noch um die 5.000. Dabei twittert er unter dem Hashtag #urbanjunglebloggers, aber auch #MonsteraMonday und natürlich #ValentinesDay.  

»mehr als ein dekorativer Tick« 

Igor betreibt die »Urban Jungle«-Community seit ein paar Jahren zusammen mit Judith de Graaff. Mit ihr zusammen hat er kürzlich das Buch »Wohnen in Grün – Leben und Wohnen mit Pflanzen« herausgegeben, auf Deutsch ebenso verfügbar wie auf Englisch, andere Übersetzungen sind geplant – siehe Infokasten. »Das Buch ist da, um zu bleiben«. Damit wollen sie mehr schaffen als »nur ein schönes Couchtischbuch, durch das man blättert und schöne Bilder genießt«. Igor und Judith sind Teil einer weltweiten Gemeinschaft mit Hunderttausenden von Pflanzenliebhabern. »Es macht uns glücklich zu sehen, dass Pflanzen heute wirklich ein Teil des Lebens der Menschen sind. Es ist Teil ihres Lebensstils, nicht mehr nur ein dekorativer Trick«.  

Handbuch für alle, die Indoor-Pflanzen mögen. Im Buch stellt das Autoren-Duo „grüne“ Wohnungen in fünf europäischen Ländern vor und liefert jede Menge Ideen und Inspiration, wie schön es sich mit Pflanzen leben lässt. Mit dabei: Do It Yourself-Anleitungen und Pflegetipps, Schritt für Schritt erklärt. 176 Seiten  »geballte grüne Kreativität« für Pflanzenliebhaber und solche, die es noch werden wollen. 29,95€ (Callwey-Verlag) 

Wie Emma und Mila in Amsterdam, sind auch Igor und Judith ein eingeschworenes Team, bilden einen Start-Up. »Es wäre unmöglich gewesen, das alleine zu tun, auf die vielen Nachrichten zu antworten – und Spaß zu haben«. Beide haben einen Vollzeitjob und pflegen ebenfalls ihre eigenen, persönlichen Blogs. Und sie haben die Ambition, »Urban Jungle Blogger« noch größer zu machen. Dazu arbeiten die beiden dezentral zusammen, nutzen mobile Messenger-Dienste. 

Ihr Hashtag #urbanjungbloggers gehört mittlerweile zu den beliebtesten »Houseplant-Hashtags« in den sozialen Netzwerken. Ob in Neuseeland, auf den Lofoten, in Korea, Argentinien, Kanada oder Japan. Überall in Europa, den USA und anderswo melden sich Fans mit neuen Beiträgen und haben große Lust daran, ihr persönliches »Interior Design« mit anderen Menschen zu teilen um daraufhin möglichst viele »Likes« zu bekommen, Resonanz und »Feedback«, jede Menge Tipps für den eigenen Stadtdschungel. Einer davon, ganz ähnlich wie der Rat von Mila und Emma: »Fange klein an und lass‘ den Dschungel mit dir wachsen«.  

Überhaupt geht es den Fans des »Urban Jungle« darum, zu entschleunigen, sich auch an den kleineren, einfachen Dingen zu freuen. Igor dazu: »Wir lernen, wieder geduldig zu sein. Pflanzen wachsen nicht in Sekunden, es braucht Wochen oder Monate, um zu blühen oder ein neues Blatt zu ziehen«. Der Stadtdschungel, für Menschen wie Igor ist das »eine Art grüne Zuflucht vor dem Beton der Stadt und unseren summenden Smartphones«. Pflanzen würden helfen, einen gesünderen Lebensstil zu verfolgen. 

Grüne Geschäfte, in unterschiedlichen Branchen 

»Urban Jungle« hat also mehr zu tun als mit schicken Zimmerpflanzen allein, wie Kooperationen der Blogbewegung etwa mit einem schwedischen Möbelriesen zeigen. Pflanzen alleine sind nicht neu, das sieht auch Judith Baehner vom »Het Groenlab« so, einem Labor das sich der Zucht von Zimmerpflanzen in Flaschenformen verschrieben hat. »Neu ist schlicht und ergreifend die Kombination«. Judith berät als Style-Biologin unter anderem Konzerne wie Sony und große Baugesellschaften, die sich neben dem Klima und »Hippster«-Faktor von Pflanzen auch eine bessere Raumakustik erhoffen.  

Beratend begleitet hat sie auch die Konzipierung eines Wohnprojekts am Rande von Amsterdam, in Sloterdjik. Von außen sieht der Wohnpark aus wie ein riesiger Baum. Da gibt es ein Hochhaus mit hundert Eigentumswohnungen in den Größen S bis XXL und vierzig Garten-Lofts auf bis zu 200 Quadratmetern, in denen drei Dinge gelingen sollen: Wohnen, Arbeiten und Entspannen. Und all das nah am Bahnhof, in fußläufiger Distanz, mitten in einem Landschaftspark von dem es bloß eine Viertelstunde mit dem Rad ins Amsterdamer Stadtzentrum dauert, das »fietsen«, wie es hier heißt.   

Das integrierte, grüne Design gibt dem Gebäude »eine menschliche Dimension«, so die Macher vom Architektenbüro. Großzügige Fassadenöffnungen bieten viel Licht für  Gartendachwohnungen, gebaut aus Beton und Stahl, Glas und Holz – und Lehm! Judith findet, dass die Natur uns wieder zurückholt, zurück zu den Wurzeln, so wie es früher einmal war, ohne den technologischen Fortschritt zu scheuen. »Die Pflanzen machen viel für uns, sie produzieren CO2, verbessern die Luft unserer Räume, das Klima«. Aber wir müssten, so die Trendforscherin, auch noch was für die Pflanzen machen: »Wir müssen zusammenarbeiten, wir sind in einer Symbiose mit der Natur – ohne sie können wir nicht leben«.  

Judith hat sich dem »Bottle Gardening« verschrieben, einer Flaschengärtnerei die in jedes noch so kleine Appartement passt. Alle Zutaten für die eigene Flaschengärtnerei sind in Judiths Online-Shop zu bestellen, bei Bedarf auch aus dem Ausland. Ein Paket für etwa vierzig Euro enthält eine 5l-Flasche, einen Korken, Steine, Kohlenstoff, Blumenerde, zwei Pflanzen und etwas Moos. Dazu eine Betriebsanleitung, das auch jeder Kunde ein grünes Erfolgserlebnis bekommt. 

Neben ihrem Tagesgeschäft im Labor versteht Judith den »Urban Jungle« auch als gesellschaftspolitische Strömung. »In den siebziger Jahren haben wir uns viel mehr miteinander unterhalten, direkt, das war ganz normal, alles ohne Smartphone, mit Familie und den Nachbarn, dazwischen ein Gemüsebeet«. Heute sei das anders, so Judith. »Wir reisen viel, das Leben kostet auch immer mehr, wir arbeiten mehr«. Hinzu komme, das wir uns selbst »mehr entwickeln wollen, auch mal abheben«, um unsere Individualität ausdrücken – online wie offline. 

Dabei kann jeder »etwas mit Pflanzen machen«, so Mila vom »Wilderness«-Laden aus Amsterdam. »Du musst kein Experte sein, du kannst grüne Finger bekommen. Fange klein an und einfach«. Vielleicht ist es ja gerade diese Einfachheit, die Menschen an diesen Pflanzen in all ihren Formen, mal zackig und mal rund, fasziniert. Immerhin: eine Stunde Gartenarbeit hat für Pflanzenliebhaberinnen wie Mila, Emma und Judith die gleiche Wirkung wie eine Stunde Yoga. 

»Grüne Gemeinschaft« – viel Spaß und wenig Arbeit 

Für die einen eine Entspannungsübung, für andere sogar eine Lebensphilosophie. Das zeigen die vielen Gemeinschaftsgärten, die in Amsterdam und anderswo, quer durch die Republik auch in Konstanz aus dem Boden sprießen. Grün ist etwas, das man alleine genießen kann, aber eben auch mit vielen anderen Leuten zusammen, in der Gemeinschaft, »Urban-Gardening«-Projekte – die Weiterentwicklung der Schrebergärten am Stadtrand, zurück in die Innenstadt. Um folgendes zu tun: Gemüse anbauen, ernten und gesunde Rezepte ausprobieren beim gemeinsamen Kochen. All das stiftet ein ganz neues Gefühl der Gemeinschaft, finden »Urban Jungle« Menschen.  

Natürlich könne man die Pflanzen oder Blumen auch ganz einfach im Laden kaufen, so Judith. Teilen jedoch sei das neue Besitzen und damit auch Geheimnis hinter diesem »Boom« des Grünen, in der Stadt. Es ist das gemeinsame Bestreiten von einem »ungeklärten Prozess«, wie Mila findet. Beim Pflanzen gebe es schließlich »immer etwas, das bricht oder stirbt«. Dieser Wunsch nach mehr Grün, nach Wachstum, das lade ihre Kunden, Fans und Mitstreiter zum Experimentieren ein. So zum Beispiel mit »Luftpflanzen«. Die haben keine Wurzeln und seien dennoch »superhübsch«, so Mila. Und das ohne viel Aufwand: »ein Mal pro Woche ein bisschen besprühen reicht«.  

Ob Judiths Terrarien mit ganz viel Grün im Glas, Mila und Emmas Pflanzen-Laden an der Bilderdijksgracht in Amsterdam oder Igors Postings von grünen Wohnungen aus aller Welt – sie wecken Sehnsüchte nach dem Ursprünglichen, etwas das langsam wächst und gedeiht – und bleibt. Dieses Grün ist eine Ansage gegen das »schneller, höher weiter« einer globalisierten, technisierten Welt. Und Judith ergänzt, mit Blick auf die kommenden Jahre: »Die Nüchternheit der neunziger Jahre ist vorbei, jetzt wird alles wieder bunter, wilder, natürlicher«. 

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